Vielfältig einsetzbar
Kaum eine andere technologische Errungenschaft bot wohl derart viele Möglichkeiten sowohl für Gutes wie auch für Schlechtes, eingesetzt zu werden. Ein Chirurg leitet aus 4.000 Kilometer Entfernung eine OP via Skype im besetzten Aleppo. Im besetzten Damaskus sind 5 Millionen Menschen von Trinkwasser abgeschnitten – Eine digitale Karte mit genauen GPS-Daten weist ihnen den Weg zu alten vergessenen Brunnen. Und ein digitales Archiv verbreitet das Wissen und die Erfahrungen von Kriegsüberlebenden um die Überlebenswahrscheinlichkeit für andere vom Krieg betroffene, zu erhöhen.
Andererseits werden Stimmen laut, dass längst ein Weltkrieg im Gange sei – der Cyberwar. Die digitale Aufrüstung hat längst begonnen. Die Nationen haben Spezialeinheiten der Armee eingerichtet, die sich nicht nur auf die Verteidigung konzentrieren. Deren Attacken zielen auf Infrastrukturen wie Energie- und Wasserversorgung, auf Banken, Behörden, Unternehmen und jüngst auch auf Meinungsbildung der Öffentlichkeit.
Von diesen Extrempolen unbeeindruckt zerbrechen sich derweilen Experten hierzulande den Kopf und stellen die Frage „Wem gehört künftig der Kunde?“. Wie kann man Nutzer dazu animieren, immer mehr Daten von sich preis zu geben und vor allem: Wie lässt sich mit Big Data und sogenannten Smart Services Geld verdienen? Der tatsächliche Nutzen ist erstmal nebensächlich. Das technisch Mögliche ist der neue Maßstab.
Die Technologie hat die breite Masse in den westlichen Nationen längst überrollt. Nur wenige machen die Technologie für sich selbst dienstbar. Vielmehr begeben wir uns willfährig in den Dienst der Technologie. Bereitwillig stellen wir unsere Daten zur Verfügung, in der Hoffnung noch einen Hauch produktiver, effizienter oder gesünder zu werden. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Wir lassen uns von der Technik ablenken, streben Omnipräsenz an und verlernen, selbst auf unseren Körper zu hören, uns zu orientieren und selbst die einfachsten Dinge zu merken. Die Situation weckt Assoziationen zum Zauberlehrling: „Immer neue Güsse bringt er schnell herein, Ach! und hundert Flüsse stürzen auf mich ein. […] Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los.“
Fluch oder Segen? Es kommt darauf an!
Alle großen Errungenschaften waren immer Fluch und Segen zugleich. Es kommt immer auf die Perspektive und die Anwendung an. Von Jacques-Yves Cousteau stammt das Zitat „Das Übel kommt nicht von der Technik, sondern von denen, die sie missbrauchen.“ Die Technik an sich ist also zunächst neutral. Der ethische Aspekt kommt erst hinzu, wenn Technik als Mittel für einen konkreten Zweck eingesetzt wird. Ob „gut“ oder „schlecht“ hängt lediglich davon ab, wie man den Zweck moralisch bewertet.
„Niemand wird jemals mehr als 640 KB RAM brauchen.“ meinte Bill Gates 1981. Die Geschichte ist voll mit Irrtümern von anerkannten Experten. Was ist, wenn sich die Propheten des Segens der Digitalisierung 4.0 ebenfalls täuschen? Wir werden keinen Hexenmeister herbeirufen können, der den Fluch von uns nehmen könnte. Wir bleiben auf uns gestellt … dann können wir auch heute schon anfangen, Eigenverantwortung zu übernehmen. Höchste Zeit für die digitale Emanzipation!